Ins Kino gehen, um einen Tierfilm anzuschauen? Das ist doch sicher eine langweilige Doku, in der nichts passiert. Denkste! Mit „Unsere Erde“ landete die BBC bereits 2008 einen Mega-Erfolg, der mit 3,8 Millionen Zuschauern in Deutschland in dem Jahr gar The Dark Knight übertrumpft hatte. Grund genug, an den damaligen Erfolg anzuknüpfen. Mit „Unsere Erde 2“ schickt das Erfolgsduo Peter Webber und Richard Dale samt Fan Lixin den zweiten Teil ins tierische Rennen. Spektakuläre Naturaufnahmen und innovative Story-Ideen, die den ersten Teil sogar noch überragen, versprechen ein tolles Kinoerlebnis.
Verborgen im Schutt wartet er auf den entscheidenden Moment, den Augenblick, der über sein junges Leben entscheiden wird. Die Jäger lauern bereits im Schatten der Felsen-Vorsprünge, bereit zuzuschlagen, sobald sie auch nur den Hauch einer Bewegung spüren. Er sprintet los, die Verfolger peitschen wie eine wilde Welle des Todes hinterher, er hastet auf einen Felsvorsprung zu, setzt ab und fliegt über die zuschnappenden Mäuler hinweg – ins Leben!
Wer jetzt an einen Actioner mit Stallone oder Schwarzenegger denkt, der täuscht sich gleich mehrmals. Denn die beschriebene Szene ist echt und spielt sich im Leben einer jeden Meerechse kurz nach ihrer Geburt auf der Galapagosinsel Fernandina ab. Kaum sind sie geschlüpft, müssen die Baby-Leguane völlig auf sich allein gestellt, im Sprint eine sandige Wegstrecke von ihrem Ei zur nahen Fels-Küste überwinden. Andererseits würden sie sonst als Festmahl für Schlangen enden.
Die Schlangen wissen nämlich ganz genau, wann die Brütungszeit der Meerechsen ist. Sie warten stundenlang im Schatten auf den entscheidenden Moment, wenn eine mutige Baby-Echse wieder das Spiel mit Leben und Tod wagt. Das Naturschauspiel, das für Echsen und Schlangen teil ihrer Natur und damit quasi Alltag ist, entfaltet gerade für uns menschliche Zuschauer eine besonders intensive Wirkung. Aber das nur, und das zeichnet Unsere Erde 2 aus, durch die thrillergleiche Inszenierung des Films. Kamera-Einstellungen, Slow-Mo, Handlungsaufbau, Spannungsmusik, die harten, schnellen Schnitte von Jäger im Kontrast zum Gejagtem, all das ist hohe Filmkunst, wie man sie sich in einem guten Hollywood-Film wünscht. Doch dies in einem Naturfilm zu finden, zeugt umso mehr von der Genialität der Regisseure.
In eineinhalb Stunden wird uns in Unsere Erde 2 der Ablauf eines Tages auf unserer lieben Erde nahe gebracht, angefangen mit dem Sonnenaufgang fliegen wir geradezu über Kontinente, Länder und Jahreszeiten hinweg, von den höchsten Bergen, über abgelegene Insel, über eisige Schneelandschaften bis hin zu exotischen Urwäldern. Stets erleben wir einige Minuten im Alltag verschiedenster Tiere zu der entsprechenden Tageszeit mit, wie sie leben, überleben, wie sie Nahrung oder einen Liebespartner suchen.
Recht schnell im Verlauf von Unsere Erde 2 wird einem klar, wie viel Liebe die Regisseure zu ihren tierischen Helden an den Tag gelegt haben. Das Merkmal erstklassig verdienen eindeutig die Kameraeinstellungen, für die man sich durchaus eine Oscar-Nominierung wünschen würde. Der Film, die Erzählweise, die musikalische Untermalung, alles lebt insbesondere durch die jeweiligen narrativen Einstellungen und Blickwinkel der Kamera auf, teilweise so abgefahren, dass man so etwas noch nie zuvor gesehen hat. Durch die Einstellungen erhalten die Tiere teils so intensive Gestik und Mimik, dass man mitunter vergessen kann, dass es sich um ebensolche handelt.
Neben den Meerechsen in ihrem Thriller-Überlebenskampf werden auch viele weitere Genres bedient. So gibt es eine wunderbar in Western-Touch und entsprechender Musik angehauchte High Noon-Szene, bei der selbst Clint Eastwood nicht hätte schneller ziehen können. Zwei Giraffenbullen treten einander in der afrikanischen Wüste gegenüber. Allein das Zuschauen, wie sich die beiden Riesen annähern und belauern, bereitet einem Gänsehaut. Als es schließlich zum Showdown mit den Köpfen zwischen dem jungen Bullen und dem älteren Alpha-Tier kommt, glaubt man beinahe, einem Boxkampf beizuwohnen. Finten, Taktiken, Ausweichmanöver, alles abgerundet mit dem finalen Überraschungsschlag, was wünscht man sich mehr bei einem Duell.
Doch muss es nicht nur Thrill und Action sein. Wie bei allen Lebewesen auf unserer Mutter Erde spielt nicht nur das eigene Überleben eine entscheidende Rolle, sondern die Sorge um den Partner und den Nachwuchs. Gerade die liebevollen Szenen sind es, die emotional am meisten beim Zuschauer einwirken. Wenn wir erleben, wie ein Pärchen von Zügelpinguinen sich auf den Falklandinseln auf Zavodovski Island in der Subantarktis jeden Tag auf eine lebensgefährliche Mission begibt, um ihr hungerndes Junges zu ernähren, dann erwärmt das selbst das kälteste Herz. Wir erleben ein Männchen, wie es sich für das Überleben seines Kleinen von meterhochen Klippen in die halsbrecherischen Wellen stürzt, nur um den ganzen Tag bis zu 3,2 Kilometer zurück zu legen, um Fische zu finden. Zum späten Nachmittag kehrt der Ernährer der Familie nach schwerer Arbeit zurück und schafft es wie durch ein Wunder, seine Liebste unter 1,5 Millionen Pinguinen wieder zu finden. Und das gelingt dem erschöpften Vater allein durch das Heraushören der Stimme seines Weibchens.
Die Gefühlsextreme des Films werden zwischendurch mit lockeren Szenen aufgeheitert, sodass man auch mal zum Durchatmen kommt. Durchgehend durch den Film hinweg möchte man das Kamera-Team wegen ihrer wunderschönen Bilder knutschen. Auch die Szenen mit dem Großen Panda in den chinesischen Bambus-Wäldern gehören zu den Highlights. Allein, wenn man die drolligen Kerle in ihren Lebensraum dabei zuschauen darf, wie sie von Bambus zu Bambus hangeln und sich den Bauch vollstopfen, bereitet einem das Glücksgefühle. Doch die Ober-Clowns des Films sind zweifelsfrei Braunbären, die sich in der kanadischen Provinz Alberta den Rücken an Baumstämmen reiben, um den dicken Winterpelz loszuwerden. Was für die Bären notwendig und zweifelsfrei genüsslich ist, zeigt sich uns als urkomische Tanzeinlage, die eine gewisse Parallele zu Pole Dancing hat.
Das sind nur einige beispielhafte Szenen, die einen kunterbunten Eindruck von Unsere Erde 2 geben. Alles in allem vergehen die 94 Minuten wie im Flug, da man quasi von Ort zu Ort und Tier zu Tier geworfen wird. Langeweile kann so gar nicht aufkommen. Der Film schafft es, durch seine hollywoodhafte Erzählweise und starken Bildern zu überzeugen, ohne dabei zu einer drögen Dokumentation zu verkommen, aber zugleich den Info-Gehalt soweit aufrecht zu erhalten, dass jede Tierart, ihre Lebensumstände und Besonderheit gut zur Geltung kommen. Erwähnung verdient bei einem reinen Tierfilm die wichtige Position des Erzählers, der einen nahtlos von Tiergeschichte zu Tiergeschichte führt. In der deutschen Fassung ist dies Günther Jauch, der seine Spracharbeit durchweg gut ausführt. Dies ist natürlich Geschmackssache, doch wirkt für mich Robert Redfords dunkle Stimme im englischen Original intensiver und passender als erzählender Märchenonkel.
Also, alles super? Wenn man eine Kritik am Gesamtkonzept des Films anbringen möchte, wäre es kurioserweise das, was ihn auszeichnet: die Inszenierung. Denn die Vermenschlichung der Tiere in ihrem Artverhalten kann mitunter einen falschen Eindruck erwecken. Was für die meisten wohl als Unterhaltung angesehen würde, könnte für manch einen zu weit gehen, sodass man gar von „Hollywoodisierung“ der Natur sprechen kann. Doch das muss jeder Zuschauer für sich selbst entscheiden.